Zum Sterben dageblieben: Damaged von Mission to the Sun

Der Kapitalismus bringt nicht nur Gewinner hervor. Ist eine Binse, wird dadurch aber nicht weniger wahr. Dass es nicht nur einzelne Menschen, sondern auch ganze Städte treffen kann, zeigt Detroit. Dort war nach dem Niedergang der großen Automobilindutrie, die der Stadt im Jahr 1950 ein Hoch von 1,85 Millionen Einwohner_innen bescherte, nicht viel geblieben. Ein halbes Jahrhundert später waren fast eine Million der Bewohner_innen weggezogen, 35% des Stadtgebiets unbewohnt. 2013 wurde die Stadt für zahlungsunfähig erklärt. Vielen Detroitern ging es nicht besser: Sie waren mit am stärksten von der Subprime-Krise betroffen – Krediten mit undurchsichtigen Zinsraten, die den ärmeren Schichten Jahr für Jahr mehr und mehr die Luft zum Atmen raubten. Bis heute ist Detroit für seine hohe Kriminalitätsrate bekannt; gilt als eine der gefährlichsten Städte der USA. Wer konnte, zog weg. Und war es auch nur raus aus dem eigentlichen Stadtgebiet in die wohlhabenderen Vororte.[1]

Doch was ist mit denen, die dageblieben sind? Denen, die nie die Wahl hatten? Die ihren Lebensabend zwischen entglasten Häusern und Autowracks, überdimensionierten leeren Parkplätzen und allgegenwärtigem Verfall verbringen? Oder denen, die für ihre Eltern dageblieben sind? Denen schmerzlich bewusst ist, dass auch sie irgendwann das Schicksal ihrer Elterngeneration ereilen wird?

Ihrer Perspektive, den geplatzten Träumen von der Basketball- oder Rap-Karriere, dem Alltag zwischen Apathie und Verfall, hat das Detroiter Duo Mission to the Sun auf ihrem Album Cleansed By Fire im Jahr 2021 den Song Damaged gewidmet. Eine düstere und experimentelle Klangwelt zwischen Ambient und Post-Industrial, erschaffen von Christopher Samuels (Synthesizer, Samples, Programming; bekannter für seine zweite Band Ritual Howls), angereichert durch den eindringlichen und schweren Gesang des Lyrikers Kirill Slavins.

Ein Song, der sich so ganz ohne Kontext zugegebenermaßen nicht unbedingt beim ersten Hören erschließen lässt – ging zumindest mir so. Andererseits: Wer will das überhaupt? Die Schönheit dieses Werks liegt für mich – wie auch bei vielen meiner Lieblingslieder – in den Details, die einem beim zweiten, dritten oder auch zehnten Hören auffallen. Sei es der Text, ein Sample oder auch eine Szene im Musikvideo.

Und tatsächlich sind es die Details dieses Musikvideos, auf die es sich zu achten lohnt: Die große Packung Coricidin, das Lil-Wayne-Poster an der Wand, die Air Max und das Basketballtrikot. Vor allem aber die förmlich greifbare Verzweiflung, der Schmerz und früher einmal dagewesene Frust ob der ausweglosen sozialen Lage: Das faustgroße (und -förmige?) Loch in der Zimmertür oder der Rauch, den der Protagonist seinem pflegebedürftigen Vater ins Gesicht bläst. Vielleicht um irgendeine Reaktion zu provozieren, wider besseren Wissens, denn dass Worte oder gar längere Konversationen in diesem Haushalt längst der stumpfen Existenzverwaltung gewichen sind, wird selbst der Zuschauer_in innerhalb der ersten Sekunden klar. So buchstabiert das Video aus, was der Text höchstens andeutet. Doch auch das ist kein Makel: Empathie mit den Verlierer_innen der Deindustrialisierung braucht nicht viele Worte. Es ist nur wichtig, dass jemand ihre Geschichte erzählt.

Lyrics

I will follow you 
I will find you 
Inside 

I will find you 
In the cold ground 
I’ll find you 

I tried to reach the sky 
But I burnt out 

We will find you 
We will bury you 
We will carry you 
We will 

And when the angels find you 
They will sing 
We will find you 
We will bury you 
We will carry you 
We will 
We will 
We will

Video

Fußnoten

[1] Allan Popelard, Paul Vannier (2010): Detroit, Detroit. In: Le Monde diplomatique Nr. 9089 vom 15.01.2010.