Essay: Die Rolle der Blockparteien in der DDR

Systemstabilisierende Erfüllungsgehilfen oder Opposition? Essay über die systemstützende Rolle der Blockparteien in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Essay: Die Rolle der Blockparteien in der DDR

Während meines ersten Semesters des Studiums der Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaften habe ich einen kurzen Essay über die Rolle der Blockparteien im politischen System der DDR geschrieben. Meinen heutigen Standards genügt er nicht mehr, aber ein wenig über dieses bisher oft ausgeklammerte Thema kann man trotzdem erfahren. Deshalb habe ich mich entschieden, ihn mit diesem Disclaimer doch im Internet zu veröffentlichen: Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und auch handwerkliche Fehler möchte ich nicht ausschließen.

Systemstabilisierende Erfüllungsgehilfen oder Opposition?

Welchen politischen Einfluss hatten die Blockparteien in der Deutschen Demokratischen Republik?

Wir schreiben das Jahr 2017. Verläuft alles nach Plan, so werden im März die Einwohner_innen des Saarlandes, im Mai die Schleswig-Holsteins und Nordrhein-Westfalens und im September alle wahlberechtigten Deutschen an die Urne gebeten.
Zur Wahl des 19. Deutschen Bundestages messen sich zum achten Mal seit der Wiedervereinigung Deutschlands die Parteien im Wahlkampf. Doch woran genau? Sie legen Wahlversprechen, Spitzenkandidaturen und mögliche Regierungsbündnisse in die Waagschale; die Polit-Schwergewichte buhlen wieder um die Gunst des Souvernäns. Oberflächlich hat sich seit 1990 einiges daran geändert: Social Media löst langsam den Straßenwahlkampf ab und statt des visionären christdemokratischen Zehn-Punkte-Programms zur Wiedervereinigung begeistert die Ankündigung des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten, die Fehler des letzten Genossen im angestrebten Amt rückgängig zu machen, die Massen.

Zweifelsohne hat sich die Gesellschaft und mit ihr das Werben ihrer politischen Akteur_innen weiterentwickelt. Als verbindendes Element verbleibt jedoch eine Basis des Vertrauens, auf welcher erst alles weitere politische Handeln aufbaut. Erscheint eine Partei oder eine_r ihrer Vertreter_innen glaubwürdig, ist ein Anstieg der Anzahl ihrer Unterstützer_innen und Wähler_innen zu erwarten. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch: Wer es vermag, die Reputation der politischen Gegner_in negativ zu beeinflussen und das Vertrauen der Wähler_innen in sie zu erschüttern, erhöht so tendenziell die eigenen Chancen.

Die jüngere deutsche Parteiengeschichte bietet mit dem Scheitern des Realsozialismus Beispiele par excellence für enttäuschtes und in Teilen bis heute nicht zurückgewonnenes Vertrauen in Parteien. Selbst in unserer politischen Gegenwart ist es keine Seltenheit, dass als Mittel der politischen Auseinandersetzung gegenseitig an die Vergangenheit als Staats- oder Blockpartei erinnert wird. Während ersteres nach der »Wende« eingehend untersucht wurde – die Nachfolgepartei(en) musste(n) sich im Licht der Öffentlichkeit nunmal ihrer Verantwortung stellen –, gestaltete sich die Übernahme der vier Blockparteien durch CDU und FDP »relativ unkompliziert« und »bereitete weniger Probleme als innerparteilich befürchtet« (Jesse 2013, 731). Während alte Leitbilder einer »beflissenen Anpassungsbereitschaft« zum Opfer fielen (Schmidt 1997) sind die personellen Kontinuitäten bemerkenswert: Rainer Haseloff, amtierender Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, als auch Stanislaw Tillich und Christine Lieberknecht, Ministerpräsident_innen Sachsens und Thüringens a.D., gehörten der Ost-CDU an.

Ziel dieses Essays soll es sein, einen Überblick über die Blockparteien in der DDR und ihre Rolle im politischen Alltag zu geben. Meine Leitfrage lautet: Welchen politischen Einfluss hatten die Blockparteien in der Deutschen Demokratischen Republik?

Um das Thema differenzierter und erst tiefgehend untersuchen zu können, bedarf es zunächst zeitlicher Eingrenzungen und einer klaren Definition. Da der untersuchte Staat während seines 41-jährigen Bestehens drei verschiedene Verfassungen hatte, die allesamt niemals die politische Realität wiederspiegelten, wird im Folgenden mit der »sozialistischen Verfassung« vom 6. April 1968 in ihrer Fassung vom 7. Oktober 1974 gearbeitet. Die ursprüngliche Verfassung von 1949, die ein föderales System mit Länderkammer für die damals noch existierenden fünf Länder (Zwei-Kammern-System) vorsah und von einer deutschen Staatsangehörigkeit ausging (vgl. Art. 1), hatte höchstens bis zur Auflösung 1952 Parallelen mit der Realität. Im Gegensatz dazu enthielt erst die von Walter Ulbricht angeregte »sozialistische Verfassung« die hervorgehobene Rolle der SED, welche de facto schon seit der Staatsgründung festzustellen war. Sie war damit der erste Versuch, bestehende Diskrepanzen auszulöschen und den Machtanspruch der Partei zur legitimieren. Die Version von 1974 beseitigte letztlich jegliche Hinweise auf eine mögliche Wiedervereinigung, oder, so der offizielle Wortlaut: Die revidierte Verfassung von 1974 »präzisierte und vervollkommnete« die Fassung von 1968.
Um den Begriff des »(partei-)politischen Einflusses« in der DDR greifbar zu machen, bedarf es neben dieser zeitlichen Eingrenzung auch einer klaren Definition:

Politischer Einfluss ist die potentielle oder effektive Wirkung einer Interessensgruppe (in diesem Fall einer Blockpartei) auf die politische Meinungsbildung (Anteil am Diskurs) und legislative Prozesse.

Ausgehend davon unterliegt zur Feststellung dieses Einflusses folgendes der Analyse:

  1. Anteil am Diskurs durch
    a. Publikationsorgane (inhaltliche Freiheit, Verbreitung, Auflage)
    b. Mitglieder(-zahlen)
  2. verfassungsgemäße Rechte (der Parteien)
  3. politische Praxis in der DDR

Bereits am 10. Juni 1945 gestattete die Sowjetische Militäradministration (SMAD) mit dem »Befehl Nr. 2« die Bildung antifaschistischer, demokratischer Parteien und Gewerkschaften auf dem Gebiet der Sowjetischen Verwaltungszone (SBZ). So gründeten sich nacheinander die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD, 11. Juni 1945), die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD, 15. Juni 1945), die Christlich Demokratische Union (CDU, 26. Juni 1945) und die Liberal-Demokratische Partei (LDP, 5. Juli 1945) neu. Im Gegensatz zu den Administrationen in den anderen Besatzungszonen war die Führung der Sowjetunion dazu entschlossen, den eigenen Machtanspruch im kontrollierten Gebiet weiter zu erhalten (Jesse 2013, 713). Zu diesem Zwecke flogen sie die ihren Anweisungen hörige »Gruppe Ulbricht« – Funktionäre der KPD sowie zehn »antifaschistischer Kriegsgefangener« – aus dem Moskauer Exil ein (Keiderling 1993), mit dem Auftrag die Bevölkerung einerseits zu beruhigen und andererseits zur Kooperation mit der Administration zu bewegen. Unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsmacht – einige Sozialdemokrat_innen wurden Verfolgt und Inhaftiert – beschlossen die Vertreter_innen von KPD und SPD am 14. Juli 1945 die Bildung einer »Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien«. Dies wäre, so die Begründung, eine »Grundlage für die völlige Liquidierung der Überreste des Hitler-Regimes und für die Aufrichtung eines demokratischen Regimes« (Weber 1986, 36).
Kurze Zeit später bildeten sich bereits Arbeitsgruppen und Ausschüsse zur Vereinigung. Am 21. und 22. April 1946 war es so weit: auf dem Vereinigungsparteitag schlossen sich SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zusammen. Der Händedruck der KPD- bzw. SPD-Vertreter Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl auf dem Parteitag sollte später zum Logo der neu entstandenen Partei werden.
Die beiden »bürgerlichen« Parteien, CDU und LDP, wurden als Teil der »Einheitsfront« in den Block eingebunden. Dort waren sie zwar vorerst sicher vor der Repression durch die Besatzungsmacht, dafür haushoch den machtpolitischen Bestrebungen der KPD und später der SED unterlegen (Schneider/Nakath 2002). Trotz der Existenz dieser zwei Parteien gelang es nicht vollständig, alle Teile der Gesellschaft anzusprechen. Außerdem waren die Ergebnisse der CDU, die einen »christlichen Sozialismus« propagierte und der antisozialistisch auftretenden LDP bei den Landtagswahlen 1946 weitaus besser als erwartet gewesen (SED: 47,6 %, LDP: 24,6 %, CDU 24,5 %) (Jesse 2013, 715). Deshalb gründeten sich im Jahr 1948 zwei weitere Parteien: Die Bauernpartei Deutschlands (DBD) und die National-Demokratische Partei Deutschlands. Während die Zielgruppe ersterer klar die Landbevölkerung war, diente letztere dazu, ehemals nationalsozialistische Kräfte mit einzubinden.

Ihre Parteivorsitzenden hätten sich nicht einmal bemühen müssen, politische Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von der SED vorzutäuschen, vergeblich wäre der Aufwand gewesen: einerseits waren Ernst Goldbaum (DBD) als auch Lothar Bolz (NDPD) vor 1933 noch Mitglied der KPD gewesen, andererseits hatten die Parteien während des Bestehens der DDR in der Volkskammer niemals gegen abweichend zur SED gestimmt – beide Parteien waren reine »Retortenprodukte« (Lapp 1988, 15).
Nach Hermann Weber hatten die Blockparteien vier verschiedene Funktionen. Sie halfen der Führung zweifelsohne, die tatsächliche, ab 1968 sogar in der Verfassung festgeschriebene und damit faktische Übermacht der SED zu verschleiern, hatten mit ihren Kontakten zum Westen eine »gesamtdeutsche Funktion« (Einfluss auf Politik in der BRD), eine »Transmissionsfunktion« (so konnte die SED ihre Vorstellungen mithilfe der CDU auch in christlichen Kreisen verbreiten) und sie integrierten selbst die Bürger, die der SED skeptisch gegenüberstanden in den Block (Weber 1996, 8). Von hohen Mitgliederzahlen konnte aber nie die Rede sein: während jede_r vierte Erwachsene im Jahr 1989 der SED angehörte, war nur jede_r 25. Bürger_in der DDR Mitglied einer der vier Blockparteien (1989: knapp 500.000) (Jesse 2013, 724, Tabelle 6).
Sieht man sich die Hauptaufgaben politischer Parteien in der heutigen Bundesrepublik, das Mitwirken an der politischen Willensbildung (Art. 21 GG), an, so täuscht die quantitative Analyse der Publikationsorgane der Parteien wieder vor, was nicht ist: zwar hatte jede der fünf in der Volkskammer vertretenen Parteien eine überregionale Tageszeitung, sowie zwei bis drei Regionalzeitungen in den verschiedenen Bezirken, doch bei der qualitativen Analyse muss man feststellen, dass die Zeitungen der Blockparteien politische Diskussionen tunlichst vermieden und einer Vorzensur unterlagen.

Während in Karl Marx' und Friedrich Engels' Historischem Materialismus Theorie und Praxis untrennbar verbunden sind, könnte man, übertrüge man dies auf die Verfassung (als Theorie) und die Politische Praxis, für die DDR wohl kaum selbiges behaupten. Statt die Basis für das politische Geschehen und Miteinander im Staat zu schaffen, hinkte die Verfassung der politischen Realität hinterher und musste stets an sie angepasst werden.
Erst im Jahr 1968, mit der »sozialistischen Verfassung«, wurde die Vormachtstellung der SED gegenüber der anderen Parteien in Blei gegossen. In Artikel 1 heißt es: »[Die DDR] ist die polititsche Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.« (Verfassung der DDR vom 6. April 1968 i.d.F.v. 7. Oktober 1974, Art. 1)
So wurde nun endlich zementiert, was bereits in den Jahren zuvor politischer Praxis entsprach: Die SED gab vor, wonach sich alle anderen politischen Parteien und Organisationen (z.B. FDJ, PDGB, DFD, VdgB) zu richten hatten. Wer eine Organisation mit offiziellem Charakter gründen wollte, musste sich zwangsläufig unterordnen.

Die Rolle der Bockparteien – ist sie nun nur die kleiner Satelliten zur scheinbaren Legitimation der konzentrierten Entscheidungsgewalt bei der SED gewesen? Für die DBD und die NDPD mag das zutreffen. Hier waren selbst die Mitglieder bewusster Teil einer offensichtlichen Inszenierung. Mitglied wurden wohl hauptsächlich Opportunist_innen, die auf der Suche nach sozialen Kontakten waren oder im Rahmen des Möglichen kleine Veränderungen herbeiführen wollten (Jesse 2013, 724). Doch bei den Mitgliedern der CDU und der LDP (zwischen 1951 und 1990 als »LDPD«, um den »gesamtdeutschen Anspruch« zu betonen) ist durchaus eine ideologische Festigung abseits des von der SED für sich beanspruchten Marxismus-Leninismus anzunehmen. So waren viele Mitglieder der LDP in der Weimarer Republik in der DDP, DVP und dem gemäßgten Flügel der DNVP anzutreffen. Vor allem in der Basis der bürgerlichen Parteien sammelten sich die Gegner_innen der SED. Spätestens aber seit dem widerständigen und offen antisozialistischen Kurs der LDPD unter Wilhelm Külz' Vorsitz 1948, wurde auch diese durch Verhaftungen und Verfolgungen »auf Linie« gebracht. Doch die Gesinnungsänderung geschah nicht nur von außen: Külz' Nachfolger, der langjährige Generalsekretär (1954-1967) und Parteivorsitzende (1967-1990) Manfred Gerlach hatte daran »keinen geringen Anteil« (Jesse 2013, 724). So waren es letztendlich die Funktionär_innen selbst, die in vorauseilendem Gehorsam der Linie der SED folgten und ihre Partei zu dem machten, wofür sie in der Bevölkerung verachtet wurden: Blockflöten.
Der CDU erging es änhlich: Sie war zwar auch von den zentralen Entscheidungen, die die SED fällte, ausgenommen, jedoch trug sie sie allesamt mit. Die historisch einzige Ausnahme dabei markiert die Abstimmung über das »Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft« am 9. März 1972 in der Volkskammer. Dagegen waren bereits im Vorfeld Kirchenverbände sturmgelaufen, weshalb die SED der CDU, wohl aus Rücksicht auf ihr christliches Wähler_innenklientel, zugestand, nicht zuzustimmen: es gab 14 Gegenstimmen und acht Enthaltungen (CDU hatte 52 Sitze) (Jesse 2013, 720). Dies war tatsächlich das erste und letzte Mal, dass es in der Volkskammer Gegenstimmen gegeben hat. Mehr noch als bei der LDPD avancierte die CDU unter dem Parteivorsitz Otto Nuschkes (1948-1957) zu einer Partei, die die Entwicklung in der DDR mit gewissen Vorbehalten zu unterstützen begann und so aktiv half, Christ_innen in das politische System zu integrieren (Buchstab/Kaff 1998; Richter 1995). Diese scheinbar immanent widersprüchliche Rolle offenbart sich darin, dass sie für die SED »als Verbündete und als potentieller Konkurrent« firmierte (Suckut 1995, 289).

Es gilt in jedem Fall zwischen den 1948 künstlich geschaffenen Parteien DBD & NDPD und der 1945 gegründeten CDU & LDP differenzieren. Während die Unterstützung politischer Entscheidungen der SED das konstituierende Merkmal ersterer zu sein schien, fungierten letztere vor allem in ihren Anfangsjahren bis 1949 als Sammelbecken für liberale Gegner der SED und Christ_innen. Die anfängliche Bedrohung ihrer Mitglieder setzte jedoch einen Umstrukturierungsprozess in Gang, in dem sich die Funktionär_innen selbst eine folgsame Praxis anerzogen. So fügten sich die »Bürgerlichen« allmählich in den Platz ein, den man ihnen angeboten hatte.

Betrachtet man die zivilgesellschaftliche Rolle der Blockparteien und ihren Anteil an der politischen Willensbildung, so ist da nicht viel außer einem kleinen Forum des Austausches für kritische Basismitglieder und einer zwar gut verbreiteten, gar staatlich geförderten Presse, die angesichts der Zensur aber niemals Agenda-Setting hätte betreiben können.
Ja, die Blockparteien waren staatlicher Repression unterworfen und spätestens seit 1968 verfassungsgemäß der SED zur Folge verpflichtet. Doch nichtsdestoweniger trugen vor allem die Funktionär_innen der CDU und LDP(D) in vorauseilendem Gehorsam zur Stabilität des Systems bei und machten sich so zu willentlichen Helfer_innen einer Parteiendiktatur.

Textverweise
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Verwendete Bilder
  • Titelbild: Christlich-Demokratische Union Deutschlands 26. Juni 1945 26. Juni 1970 Der Sozialismus ist die Zukunft und der Frieden XXV, Textplakat aus dem Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung. Lizenz: CC-BY-SA 3.0 DE.